«Mein Herz so weiss»
«… Bisweilen habe ich das Gefühl, dass nichts von dem, was geschieht, geschieht, weil nichts ununterbrochen geschieht, nichts dauert oder beharrt unaufhörlich oder wird unaufhörlich erinnert, und sogar die monotonste und routinemässigste Existenz hebt sich auf und negiert sich selbst in ihrer scheinbaren Wiederholung, bis nichts und niemand mehr ist wie zuvor, und das schwache Rad der Welt wird von Vergesslichen angetrieben, die hören und sehen und wissen, was nicht gesagt wird und nicht stattfindet und nicht erkennbar und nicht nachprüfbar ist. Was sich ergibt, ist identisch mit dem, was sich nicht ergibt, was wir ausschliessen oder vorbeigehen lassen, identisch mit dem, was wir nehmen und ergreifen, was wir erfahren, identisch mit dem, was wir nicht ausprobieren, und doch geht es um unser Leben und vergeht unser Leben damit, dass wir auswählen und ablehnen und entscheiden, dass wir einen Linie ziehen, welche diese identischen Dinge trennt und aus unserer Geschichte eine einzigartige Geschichte macht, an die wir uns erinnern und die sich erzählen lässt. Wir verwenden unsere ganze Intelligenz und unsere Sinne und unser Bestreben auf die Aufgabe, zu unterscheiden was eingeebnet wird oder es schon ist, und deshalb sind wir reich an Reuegefühlen und verpassten Gelegenheiten, an Bestätigungen und Bekräftigungen und genutzten Gelegenheiten, wo es doch so ist, dass nichts Bestand hat und alles verloren geht. Oder womöglich hat es nie etwas gegeben.»
Javier Marías in «Mein Herz so weiss»
Benny Egli / Mein Herz so weiss ( 2014 ) 155 cm x 132 cm